Mitten in Europa. Ausbeutung im Niedriglohnsektor und fehlende Aufstiegschancen

Oskar Brabanski, Berater von der Beratungsstelle Faire Mobilität in Nürnberg, berichtet über den Fall eines Paketfahrers aus Rumänien, der stellvertretend für viele EU-Arbeitnehmer in Deutschland ist. Dem Paketfahrer wurden 2.000 Euro netto im Monat versprochen, wenn er in Deutschland Pakete ausfährt. Hier angekommen, hat er dann für 250 Arbeitsstunden im Monat 1.600 Euro netto bekommen. "Wenn wir uns das ausrechnen, sind das knapp über sechs Euro netto und damit deutlich unter dem gesetzlichen Mindestlohn", sagt Brabanski. Außerdem wurde er in einer überfüllten Wohnung untergebracht.

Was Brabanski beschreibt, ist kein Einzelfall im Niedriglohnsektor - im Bau, der Fleischindustrie, der landwirtschaftlichen Saisonarbeit oder der heimischen Pflege. Das zeigt eine neue Studie des Sachverständigenrats für Integration und Migration mit dem Titel "Prekäre Beschäftigung – prekäre Teilhabe. Ausländische Arbeitskräfte im deutschen Niedriglohnsektor", die das unabhängige Gremium aus Wissenschaftlern jetzt publiziert hat. Zwar dürfe man das Problem nicht verallgemeinern, sagt Studienleiter Holger Kolb, aber "diese prekäre Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte ist deutlich mehr als ein Einzelfallphänomen".

Diese Menschen würden schlecht bezahlt, arbeiteten viel und hätten kaum Möglichkeiten, sich weiterzubilden. Arbeitgeber würden geltendes Recht und Schutzbestimmungen "zum Teil systematisch umgehen", sagt Politikwissenschaftler Kolb. Der Migrationsexperte mahnt eine bessere Beratung von Betroffenen an. Zumal die Bundesregierung plant, die Einwanderung von Arbeitskräften nach Deutschland zu erleichtern. Sie will zum Beispiel mit einem Punktesystem die Einwanderung von Arbeitskräften mit ausländischem Berufsabschluss aus Drittstatten erleichtern. Außerdem will sie für Branchen mit besonders großem Bedarf Kontingente für eine kurzzeitige Beschäftigung schaffen. Darüber können Arbeitskräfte unabhängig von ihrer Qualifikation für acht Monaten in Deutschland arbeiten, wenn der Arbeitgeber nach Tarif zahlt.

Hinzu kommt: Ausländische Hilfskräfte haben kaum Aufstiegschancen. Für diese Gruppe sieht Kolb Risiken. "Der Einstieg in den Arbeitsmarkt ist relativ leicht, aufgrund der Nachfragesituation. Der Aufstieg ist aber dann relativ schwer", sagt der Migrationsexperte. Die Hilfskräfte hätten zum Beispiel teilweise kaum Zeit, Deutsch zu lernen, sich ihre Berufsabschlüsse anerkennen zu lassen oder sich weiterzubilden, weil sie viele Stunden arbeiten und wenig verdienen. "Es wird ein Klebeeffekt erzeugt", sagt Holger Kolb. Das Aufstiegsversprechen durch harte Arbeit voranzukommen und sich zu integrieren, stimme nicht mehr. Gerade mit Blick auf die geplanten Erleichterungen bei der Einwanderung fordert Kolb, die Teilhabe von ausländischen Arbeitskräften zu verbessern.

Die Studie schlägt vor, Beratungsangebote, wie sie Oskar Brabanski in Nürnberg macht, auszubauen. Arbeitnehmer haben in Deutschland viele Rechte, aber ausländische Arbeiter kennen diese oft nicht. Sie darüber zu informieren, sei wichtiger als Gesetze zu verschärfen, sagt Kolb vom Sachverständigenrat. Auch ein Verbandsklagerecht hält er für eine denkbare Möglichkeit.

Zum Artikel auf br24 siehe hier.

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